„Was versteht die Ziege vom Parfum von der Rose?“ Soweit ich weiß, ist dies ein orientalisches Sprichwort, das mein Vater zu verwenden pflegte, wenn er über Menschen sprach, die weder den Hintergrund noch das Vermögen besaßen, das was er sagte, zu verstehen. Damit wollte er nicht sagen, dass sie ihm intellektuell nicht gewachsen seien, sondern lediglich, dass sie aufgrund ihres Wissens, ihrer Herkunft oder ihrer Weltsichten nicht nachvollziehen können, worüber er spricht. Es geht um verstanden werden. Was weiß die Ziege vom Parfum von der Rose? Ein Gärtner versteht etwas vom Duft der Rosen. Ein Parfümeur gleichwohl. Aber eine Ziege? Woher soll sie das Vermögen haben, über das Parfum einer Rose zu urteilen? Und warum sollte man die Ziege für ihr Unvermögen verurteilen, wenn ihr die Voraussetzungen dafür fehlen?!
Wären wir selbst eine Rose, sollten wir uns dann vom Urteil einer Ziege beeindrucken lassen? Und können wir von der Ziege erwarten, dass sie den Duft einer Rose von dem eines Grashalms unterscheiden kann? Wir wollen verstanden werden und erwarten zu dem sehr oft von unserem Gegenüber, dass er etwas kann und tut, das ihm nicht gegeben ist. Wir sind enttäuscht, wenn er nicht so handeln kann, wie wir es wollen und unterstellen diesem Menschen, dass er es bewusst nicht will. Nicht selten sind diese Menschen jedoch Ziegen, die einfach nicht dafür gemacht sind. Wir wollen nicht einsehen, dass sie es nicht können. Mit ein bisschen Anstrengung und ein bisschen Engagement, so denken wir, müsste das doch gehen.
Jeder von uns hat solche Ziegen in seinem Umfeld und wir selber sind natürlich auch so eine Ziege. Gewisse Dinge sind uns einfach nicht gegeben, ob Wissen, Erfahrungen, Fertigkeiten und doch maßen wir uns an, über andere zu urteilen. Genauso wie die Ziege über den Duft der Rose. Wir mischen uns ein, wir glauben es besser zu wissen, geben Ratschläge und das alles, weil wir uns einbilden, dass wir Rosenexperten sind. Doch können wir uns als Ziege in eine Rose hineinversetzen? Wahrscheinlich nicht. Deswegen sind wir nicht gut oder schlecht. Es ist uns schlichtweg nicht gegeben.
Seien wir umgekehrt nicht enttäuscht, wenn wir jemanden etwas erzählen und nicht verstanden werden, er sich nicht in uns hineinversetzen kann. Oder wenn er uns nicht verstehen will. Vielleicht kann er uns nicht verstehen. Vielleicht hat er nicht unseren Hintergrund, unsere Geschichte, unsere Weltsicht und unsere Erfahrungen, damit wir von ihm verstanden werden können. Vielleicht sagt uns dieser Jemand, dass wir uns anstrengen sollen oder dass alles doch gar nicht so schwer sei. Dann ärgern wir uns. Doch warum ärgern wir uns über eine Ziege, die nicht weiß, wovon sie spricht. Also sortieren sie die Aussagen so einer Ziege richtig ein und dann passt es schon. Woher soll die Ziege wissen, dass Rosen gewisse Dinge nicht können, Blöken zum Beispiel. Grasen können Rosen auch nicht. Und über die Wiese rennen schon gar nicht.
„Die Möglichkeiten von Ziegen und Rosen sind begrenzt.“
Wenn wir wiederum in unserem Dasein als Ziege glauben, dass eine Rose doch alles können müsste, dann irren wir. Und so irren wir, wenn wir glauben, dass andere Menschen doch all das können müssen, was wir auch können. Wenn wir glauben, dass anderen Menschen genauso empathisch sein müssen, wie wir, dann irren wir. Dass sie uns verstehen müssen, dass sie genauso mutig sein müssen und genauso angstfrei mit Veränderungen umgehen müssen, wie wir. Sie sollen genauso flexibel und offen mit Strukturveränderungen und neuer Software umgehen.
Doch die Rose hat eine andere Geschichte als wir. Die Rose hat eine andere Konstitution, andere Erfahrungen, andere Muster und andere Glaubenssätze. Manchmal verlangen wir von Rosen, dass sie Dinge tun können, die enorm herausfordernd für sie sind. Doch in unserer Ziegenwelt erkennen wir nicht, wie schwer das für eine Rose ist. Wenn wir bereit sind, das zu erkennen, das anzuerkennen, wenn wir bereit sind, unsere Erwartungen an die Möglichkeiten unserer Gegenüber anzupassen, dann wird das mit dem verstanden werden für uns alle leichter und damit leichter, miteinander auszukommen.
Fangen wir doch klein an und erwarten wir weniger von Ziegen und Rosen. Versuchen wir anzuerkennen, dass nicht jeder das Vermögen für alles hat. Jeder hat seine ganz persönlichen Grenzen und wenn jemand unseren Erwartungen nicht entspricht, wenn er nicht das tut, was wir uns erhofft haben, wir von ihm nicht verstanden werden, dann kann es ganz banal daran liegen, dass er einfach nicht das Vermögen hat. Die Ziege ist deswegen nicht schlecht, die Rose nicht überlegen.
„Wir können das mit dem verstanden werden nicht erzwingen.“
Und hören wir auf zu hoffen, zu bitten, zu betteln und möglicherweise auch zu jammern, damit wir von Ziegen verstanden werden. Ein Beispiel: Nehmen wir eine Führungskraft, die in einer konservativen, hierarchischen, autoritären Welt aufgewachsen ist und sich in ein agil geführtes Unternehmen verirrt. Dieses Modell wird ihr fremd sein und wahrscheinlich wird sie damit fremdeln. Vor allem wird sie nicht wissen, wie sie sich verhalten soll und was von ihr gefordert wird. Vor allem wird sie ihr Verhalten nicht von heute auf morgen, vielleicht auch nicht später, verändern können. Eine solche Führungskraft wird Führen auf Augenhöhe erst selbst erfahren und dann lernen müssen.
Es bringt wenig, diese Führungskraft zu verurteilen, wenn sie anfangs in ihren alten Mustern agiert. Was wir tun können, ist dieser Führungskraft zu helfen, diese neue Welt zu verstehen, sie ihr schmackhaft zu machen und letztlich zu überzeugen, dass das hierarchisch, autoritäre Führungskonzept überholt ist. Und noch besser, erkennen wir bei der Personalauswahl, wen wir vor uns haben, denn ein Großteil unserer Probleme rühren daher, dass wir nicht erkennen, ob wir es mit Rosen, Ziegen, Kühen oder anderen verrückten Hühnern zu tun haben.
Teilen Sie mir gerne mit, welche Themenwünsche Sie für weiter Blogartikel haben. Melden Sie sich, wenn Sie Fragen haben oder ganz anderer Meinung sind. Ich will es wissen, will offen sein und auch von Ihnen lernen!
In diesem Sinne „OMNICHANGE“, alles ist im Wandel und mehr dazu auch nächste Woche wieder im OMNI Blog. Auf ein gutes Miteinander,
Ihre Daniela Scherler